Prof. Dr. Michael Borg-Laufs (Prof. Dr. phil., Dipl.Psych., KJP, PP) hat an der Ruhr-Universität Bochum Psychologie und der Sozialwissenschaften studiert (1984-1988). Die Ausbildung in Psychotherapie mit Schwerpunkt Verhaltenstherapie hat er durch die DGVT in Kooperation mit der FernUniversität Hagen erlangt (1991-1994). Seit 1999 hat er die Approbation als Psychotherapeut sowie den Eintrag ins Arztregister 1999.
Er war lange in der Erziehungsberatung tätig, davon mehr als 10 Jahre als Leiter der Erziehungsberatungstelle Essen-Frillendorf des Caritas-Verbandes für die Stadt Essen. Seit 1998 ist er tätig als Dozent und Supervisor in der Ausbildung von Psychotherapeuten, heute ist er Fachleiter KJP des Ausbildungszentrums Krefeld der DGVT.
Seit 2003 ist Herr Borg-Laufs Professor für das Fach "Theorie und Praxis der psychosozialen Arbeit mit Kindern" an der Hochschule Niederrhein, Mönchengladbach.
Zudem: verschiedene fach- und berufspolitische Tätigkeiten, u.a. Mitglied der Aus- und Weiterbildungskommission der DGVT (1995-1999), Vorsitzender des Ausschusses KJP der Psychotherapeutenkammer NRW (2002-2005). Z.Zt. Sprecher der Fachgruppe Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie in der DGVT und Mitglied des Ausschusses KJP der Bundespsychotherapeutenkammer.
Diverse Veröffentlichungen, u.a. Lehrbuch der Verhaltenstherapie mit Kindern und Jugendlichen in 2 Bänden (DGVT-Verlag) sowie zus. mit Heiko Hungerige "Selbstmanagementtherapie mit Kindern" (Pfeiffer-Verlag).
Weitere Informationen auf der verlinkten Homepage.
Auszug aus dem Interview mit Prof. Dr. Michael Borg-Laufs:
... Da Sie sehr aktiv sind in Bezug auf die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, frage ich mehr hierzu: Gibt es denn eine Identität oder ein "Wir" unter den Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten?
M. Borg-Laufs: Ja.
Bestimmt sich das über die Tätigkeit oder über eine spezifische Ausbildung?
M. Borg-Laufs: Eine spezifische Ausbildung hatten die meisten von uns ja nicht, die gab es ja nicht. Es gab früher nur die normale Ausbildung, und wer mit den Krankenkassen abrechnen wollte, hat eine Zusatzausbildung gemacht.
Welche Zusatzausbildung gab es damals? Wer hat das damals angeboten?
M. Borg-Laufs: Das waren die KV-anerkannten VT-Institute.
Das gab es also zur Zeit Ihrer Ausbildung noch gar nicht von Seiten der DGVT.
M. Borg-Laufs: Das gibt es von der DGVT seit 1999, vorher gab es das nicht. Dazu habe ich auch das erste Curriculum geschrieben. Die Identität ergibt sich also nicht aus der Ausbildung, sondern aus dem Tätigkeitsfeld und aus dem Berufsbild, wobei das getrennte Sachen sind, die auch nicht ganz konfliktfrei sind. Man muss das unterscheiden. Die Fachgruppe Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie in der DGVT ist offen für alle, die vorrangig mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, unabhängig von Grundberuf oder von der Approbation. Das ist zunächst einmal eine Fachgruppe und kein Berufsverband. Das eint. Im Moment wird auch eine Diskussion über die Frage geführt, warum eigentlich Psychologische Psychotherapeuten Kinder und Jugendliche behandeln dürfen, aber Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin nicht Erwachsene und solche Sachen. Das ist noch einmal eine extra Geschichte ...
Jetzt noch einmal zurück zur Geschichte. Sie haben sich ja mit der Geschichte der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie insgesamt und auch den Entwicklungen innerhalb der Verhaltenstherapie beschäftigt. Wie lässt sich das beschreiben?
M. Borg-Laufs: Da kann ich gerne etwas dazu erzählen, wobei das Meiste natürlich angelesen ist, weil ich ja in den Anfängen selber kein Zeitzeuge bin. Wenn man ganz früh guckt, was die ersten Anwendungsfelder der Verhaltenstherapie waren, dann ging es in den ersten klinischen verhaltenstherapeutischen Berichten, die noch nicht so hießen, im Wesentlichen um Kinderbehandlung.
Das war schon um die Jahrhundertwende so, da bin ich kürzlich erst darauf gestoßen. Lightner-Widmer hatte eine Klinik, und das war eine Kinderklinik, in der mit verhaltenstherapeutischen Methoden gearbeitet wurde. Dann die ersten verhaltenstherapeutischen Veröffentlichungen von Mary Cover-Jones: auch da ging es um Kinder. Und so hat es sich ja dann fortgesetzt. Es gab im Verlaufe der Verhaltenstherapie-Wissenschaftspublikationsgeschichte - wenn man das so nennen will - ständig Beispiele, die Kinderbehandlungen schildern oder in denen es um Kinderbehandlungen ging.
Der entscheidende Unterschied zu anderen Therapieverfahren ist aber, dass es nicht konzeptionell getrennt wurde. Es gab eben die Verhaltenstherapie, es gab die lerntheoretischen Prinzipien, die gleichermaßen bei Erwachsenen wie bei Kindern angewendet wurden. Wenn man verhaltenstherapeutische Lehrbücher oder ältere Lehrbücher liest, wenn in den allgemeinen Teilen zur Verhaltenstherapie Fallbeispiele geschildert werden, um verhaltenstherapeutischen Methoden zu schildern, dann sind die mal aus dem Erwachsenen-, mal aus den Kinderbereich.
Das ist auch in jüngeren Lehrbücher so, wenn Sie zum Beispiel das von Reinecker angucken, an dem ich auch mitgewirkt habe. Es wird auch heute konzeptionell keine strikte Trennung durchgehalten. Und das hat die Verhaltenstherapie natürlich völlig von anderen Therapieschulen unterschieden.
In der Analyse, angefangen mit Hug-Hellmuth und später dann Anna Freud und Melanie Klein usw., wurden ganz spezifische Behandlungsmethoden für Kinder entwickelt. Genauso ist es in der humanistischen Therapie, wo Axline die Spieltherapie entwickelt hat. Die Behandlung von Kindern war etwas völlig anderes als die Behandlung von Erwachsenen, auch bei gleichen psychologischen Grundannahmen.
In der Verhaltenstherapie war das eben nicht so. Weitgehend macht das ja auch Sinn, es gibt ja auch inhaltlich sehr große Überschneidungen. Es ist in der Tat so, dass eine operante Verhaltensveränderung mit einem Erwachsenen ähnlich funktioniert wie bei einem Kind, und gleichen Gesetzmäßigkeiten folgt. Es ist natürlich trotzdem so, dass ich in dem einen Falle mit dem Erwachsenen daran arbeite, wie er zum Beispiel Selbstverstärkung initiieren kann, und beim Kind arbeite ich mit den Eltern daran, dass sie zum Beispiel ein Token-Programm Zuhause umsetzen können. Dies mache ich jetzt am Beispiel operante Methoden fest, genauso könnte man auch alle anderen Methoden nehmen, ob Rollenspiele, ob Selbstinstruktionsmethoden oder was auch immer. Die konkrete Umsetzung ist natürlich mit einem Kind eine andere als mit einem Erwachsenen. Aber das wurde zunächst mal nicht so gesehen.
1991 gab es das Gutachten von Meyer und anderen zur Frage des Psychotherapeutengesetzes. In dem Gutachten steht, dass es in der Verhaltenstherapie keine Tradition hat und auch inhaltlich keinen Sinn macht, zwischen Kinder- und Erwachsenentherapie zu unterscheiden. Auch in der DGVT-Stellungnahme, die dem Gutachten beigefügt ist, wird das nochmals explizit betont.
Es gab jedoch vorher auch schon Entwicklungen in der DGVT: Es gibt so Pioniere in der Kinderverhaltenstherapie, wie Brack in Berlin, der hat Ende der 70er Jahre schon auf DGVT-Kongressen kinderspezifische Arbeiten vorgestellt.
Letztlich glaube ich aber, ist die Manualisierung entscheidend gewesen. Es gab dann die Dinge von Petermann und Petermann, das waren mit die Ersten, bei Lauth, 1988, das Training mit retardierten Kindern, und Petermann und Petermann's Veröffentlichung zu aggressiven Kindern, die 1978 in der ersten Auflage erschienen ist. Aber das waren ja sozusagen nur Anfänge. In der Zwischenzeit, in den 90er Jahren ist dann unheimlich viel dazugekommen. Zum Beispiel das Psychotherapieprogramm für Kinder mit hyperkinetischem und oppositionellem Problemverhalten, es gibt das Manual für fehlhörige Kinder, es gibt eines für Kopfschmerz-Therapie, Adipositas-Training, und noch viele andere.
Ich glaube, ein Punkt ist diese stärkere Manualisierung bzw. wenn man es nicht Manualisierung nennt: überhaupt diese stärkere Störungsbild-Orientierung in der Verhaltenstherapie. Das hat natürlich auch dazu geführt, dass man, wenn man meinetwegen über Aggressionen spricht, feststellt, ich muss natürlich mit einem Kind etwas anderes machen. Und wenn ich ein Manual mache, kann das für ein Kind nicht so aussehen wie für eine Erwachsenenbehandlung. Da kamen dann immer mehr Sachen ...
Durch die andere Gewichtung in der Verhaltenstherapie, dadurch dass es immer mehr wegging vom Technizismus hin zur stärkeren Betonung von Beziehungsgestaltung und Motivationsaufbau in der Therapie, wurde natürlich sofort offenbar, dass das ganze Setting und der ganze Umgang mit den Klienten in der Kindertherapie etwas ganz anderes ist als in der Arbeit mit Erwachsenen. Man muss eben entwicklungspsychologische Aspekte in einer ganz anderen Weise berücksichtigen, wenn man mit Kindern arbeitet. Und insofern denke ich, dass es inzwischen auch fachlich gute Gründe gibt, das voneinander zu trennen, auch wenn die Überschneidungen aus meiner Sicht immer noch sehr groß sind und größer als in anderen Therapieschulen.
Man kann also sagen, dass der Prozess insgesamt auf dem Hintergrund einer Ausdifferenzierung, die es in der Verhaltenstherapie gab, stattfand?
M. Borg-Laufs: Ja. Letztlich war es aber dennoch innerhalb der Verhaltenstherapie, zum Beispiel in der DGVT, so, dass es, als ich Mitte der 90er Jahre aktiv als Funktionär zur DGVT gestoßen bin, keine eigene Sektion für Kinder und Jugendliche gab, obwohl die Ausdifferenzierung inhaltlich schon fortgeschritten war.
Der entscheidende Anstoß, es wirklich machen zu müssen, kam dann durch das Psychotherapeutengesetz. Da wurden zwei unterschiedliche Grundberufe geschaffen, und dem musste dann mit eigenständigen Ausbildung usw. eben auch Rechnung getragen werden Diese Trennung zwischen Kinder- und Erwachsenentherapie im Bereich der VT ist eigentlich erst dann institutionalisiert worden.