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Auszug aus dem Interview mit Prof. Dr. Jürgen Margraf:

In welchem Kontext haben Sie die Verhaltenstherapie kennen gelernt und was fanden Sie an der Verhaltenstherapie interessant, was vielleicht auch problematisch?

J. Margraf: Ich habe die Verhaltenstherapie eigentlich in drei Kontexten kennen gelernt. Die ersten beiden waren noch nicht unter dem Etikett „Verhaltenstherapie“, das dritte war dann während des Studiums mit diesem Etikett. In einem Rückblick habe ich mir  auch Gedanken gemacht und habe mich gefragt, wie ich denn dahin gekommen bin, wo ich jetzt bin, zumal ich erst noch eine andere Therapieausbildung gemacht hatte.

Also erst einmal zwei Kontexte vorher, der erste war folgender: Während den Schulzeiten habe ich ein Referat über Skinner gehalten, und zwar ganz atypisch für Skinner, nämlich über Walden Two, was ja eine sehr interessante Sache ist. Und zur Psychologie bin ich über die Frage gekommen, „Wie funktioniert der Mensch?“. Für mich war – verkürzt ausgedrückt – die Software spannender als die Hardware. Also war ich unter den vielen, mit denen ich studiert habe, einer der wenigen, die nicht über Freud gekommen waren. Aber ich bin nicht mit dem Wunsch gekommen, klinisch zu arbeiten, sondern mit der Frage „Wie funktioniert es?“. Das ist die eine Sache.

Eine zweite Sache ist folgende: Mein Vater war Manager und hat tatsächlich auch schon früh verhaltenstherapeutische Bücher über bestimmte Themen gelesen. Er hat sowieso viel Fachliteratur aller möglichen Richtungen gelesen. Er war ein Autodidakt ... und hat auch solche Bücher gelesen. Die ältesten, die ich in seinem Bücherschrank gefunden habe, datieren von Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre. Und das ist wirklich früh für derartige deutschsprachige Literatur ...

Und dann kam die dritte Sache: Während des Studiums ist es mir wieder begegnet, und zwar in Kiel, wo es – ganz neu damals – einen integrierten Psychotherapiekurs gab. Dort waren analytische, gesprächstherapeutische und verhaltenstherapeutische Verfahren integriert. Und ich habe mich damals bewusst gegen die Verhaltenstherapie entschieden, unter anderem auch, weil ich über so merkwürdige Artikel gestolpert war wie Krasner’s „The behavioral therapist as a social reinforcement machine". Ich wollte ja keine Maschine sein.

Also habe ich vor allem mit der Gesprächstherapie angefangen, während ich die tiefenpsychologische Richtung schon immer sehr skeptisch gesehen habe ... Ich habe dann noch mal nach Tübingen gewechselt ... Dort wurde sehr viel Behaviorales gelehrt, so dass ich da bei Niels Birbaumer eine sehr gute Grundausbildung bekommen habe.

Dann ging ich in die USA, um dort vor allem wissenschaftlich zu arbeiten. Ich war vorher auch HiWi an der Uni, und da ging es mehr in Richtung Wissenschaft, es war aber nicht so klar, was ich machen wollte. Und eigentlich erst in der Zeit in den USA habe ich praktisch mit vielen Patienten gearbeitet und festgestellt: Was ich mit der GT so gelernt hatte, das war eine gute, für mich wichtige Grundvoraussetzung, aber das reicht hinten und vorne überhaupt nicht, um mit den Patienten mit richtigen Störungsbildern ordentlich zu arbeiten. Da habe ich dann sehr klar gesehen, was Verhaltenstherapie wert ist.

War das in einem stationären Setting oder war das ambulant?

J. Margraf: Das war teils, teils. Das war eine Klinik, nämlich das Palo Alto Veterans-Administration Hospital, wo Ken Casey sein Kuckucksnest geschrieben hat. Der ist gerade gestorben, deshalb fällt es mir wohl jetzt wieder ein. Wenn man dahin kam, haben sie einem auf jeder Station erzählt, „Hier hat er es geschrieben, hier hat er es geschrieben" (beide lachen). In Wirklichkeit gab es die Station schon nicht mehr ..., das hatte er ja 1962 publiziert, ja?

Also das war stationär, aber auch ambulant. Ich habe ambulant vor allem mit den Angstpatienten gearbeitet, stationär mit schwer Depressiven, Schizophrenen und Suchtpatienten. Aber bei mir waren es vor allem die schwer Depressiven und die Schizophrenen, und ambulant vor allem die Angstpatienten, die Agoraphobiker, wo es so deutlich war, mit GT allein klappt es nicht ...

Da Sie in Kiel studiert haben, gab es denn in Norddeutschland auch eine Art Zentrum?

J. Margraf: So wie ich das als Student wahrgenommen habe?

So wie Sie das als Student wahrgenommen haben, ja.

J. Margraf: Zu der Zeit damals?

Ja.

J. Margraf: Ich war in Kiel so ungefähr von 1977 bis 1980, und ich habe es so wahrgenommen, als ob die Verhaltenstherapie da schon fest an den Universitäten etabliert war, und zwar nicht nur an einem Ort. Und bei den Psychologen war die Gesprächstherapie völlig gleichberechtigt, bzw. bei den Medizinern war alles Analyse. Es gab in Hamburg natürlich auch Verhaltenstherapeuten, aber ich hätte nicht gesagt, dass das jetzt das einzige Zentrum wäre. Aus der damaligen Sicht kannte ich einige der Münsteraner, also ich kannte Arbeiten von Lilly Kemmler, Margret Reiss, Gisela Bartling und natürlich alles was in München und Drumherum entstanden ist ...

Wobei Iver Hand in Hamburg, den habe ich gerade vergessen. Iver Hand hat natürlich mit seiner VT-Ambulanz schon Einfluss gehabt!

Sie haben ja zusammen mit Herrn Brengelmann das Buch über die Therapeut-Klient-Beziehung in der Verhaltenstherapie herausgegeben. Es wurde ja immer wieder an der Verhaltenstherapie kritisiert, dass sie die Beziehung nicht entsprechend miteinbeziehen würde, sowohl in die theoretischen Konzepte als auch in die Praxis. Und Sie haben vorhin auch den Artikel von Krasner erwähnt. Wie kam es zu dem Buch?

J. Margraf: Krasner war, denke ich, schon ein Grund, sich damit zu beschäftigen. Obwohl Krasner war ja kein Verhaltenstherapeut – das muss man ganz klar sagen –, sondern ein Skinnerianer. Und die lehnen ja schon den Begriff der Therapie als solchen ab. Ich habe ihn später persönlich kennen gelernt, also weiß ich heute ganz genau, wie er das gemeint hatte, die ganze Ironie zum Beispiel ist mir als Student entgangen.

Die Kritik an der Verhaltenstherapie stimmt auf der Ebene der Selbstdarstellung: Die war übermäßig mechanistisch und technizistisch und hat – denke ich – geprägt durch die Auseinandersetzung mit den Analytikern gezielt Aspekte ausgeblendet. Sie stimmt nicht auf der Ebene der Praxis: Schon in der ersten Untersuchung, in der man das jemals untersucht hat, – so weit ich weiß – nämlich in der Untersuchung von Sloan et al. 1975, ist gezeigt worden, dass die VTler wahrscheinlich bessere Beziehungen hatten. Das ist natürlich nicht repräsentativ, weil das waren ja nur einige wenige. Aber das überrascht mich überhaupt nicht, weil sie eigentlich das tun, was die Patienten brauchen. Während die Analytiker eher einen sehr eigenartigen Umgangsstil haben, der eine Belastung für Beziehungen ist, das neutrale "Abstinente", letzten Endes der Versuch nicht zu kommunizieren usw.

Also stimmt es auf der Ebene der Inhalte nicht, und das war ein weiteres Motiv damals, das zu anzugehen: inhaltlich tut sich da doch etwas. Und es gab auch Literatur dazu, ich kannte Sascha Schindler und die Projekte, die die gemacht haben, habe ich das immer auch mitbekommen. Auch wenn ich gar nicht an dem Projekt beteiligt war und mit Kurt Hahlweg war ich gut befreundet...

Wer ist denn Sascha Schindler, mir ist die Namen nicht bekannt?

J. Margraf: Sascha Schindler heißt eigentlich Ludwig. Hahlweg, Schindler, Revenstorf, Partnertherapie, dieses Manual. Schindler war einer der Assistenten am MPI, er hatte sich habilitiert über das Thema "Therapeutische Beziehung", und ist dann danach in die Praxis gegangen ...

Mir wurde durch die Arbeit mit den Angstpatienten auch klar, wie wichtig es ist, den Patienten zu motivieren und ihn zu überzeugen, statt ihn zu überreden. Ihn auch nicht zu drängen, und auch nichts zu verordnen, letztendlich ihm zu helfen, dass er von sich aus zu den richtigen Entscheidungen kommt. Das ist klassische Beziehungsarbeit.

Das ist extrem wichtig, gerade auch bei so etwas wie Konfrontationstherapie, von der die Leute immer meinen, das sei einfach eine Technik, und man würde die Patienten unter den Arm klemmen und sie erschrecken oder so etwas! Also das waren Hintergründe, um überhaupt dazu etwas zu machen.