
Prof. Dr. Heiner Keupp hat Psychologie und Soziologie studiert und sich zwischen den beiden Disziplinen als Sozialpsychologe angesiedelt. In seinem fachlichen Selbstverständnis ist er einerseits von seinen Frankfurter Lehrern Adorno, Horkheimer und Mitscherlich und andererseits von der Studentenbewegung geprägt. Seit 1978 ist er Hochschullehrer für Sozial- und Gemeindepsychologie an der Universität München. Daneben hat er sich aktiv an der Arbeit reformorientierter Verbände beteiligt: An der Gesundheitspolitik der »Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie« (als langjähriger Sprecher des Gesundheitspolitischen Auschusses) und in der »Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie« seit ihrer Gründung. Bis 1999 war er Mitglied des Gründungsvorstandes der »Gesellschaft für gemeindepsychologische Forschung und Praxis«.
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Auszug aus dem Interview mit Prof. Dr. Heiner Keupp:
Meine erste Frage ist, wie hast du die Verhaltenstherapie kennen gelernt und in welchem Kontext war das?
H. Keupp: Ich habe mich damals schon in München aufgehalten und habe an der Uni in München Psychologie studiert. Nach dem Vordiplom, das war 1967, also kurz vor der Studentenbewegung, gab es hier einen neuen Lehrstuhlinhaber für Klinische Psychologie, das war Albert Görres. Görres war einer der renommierten Analytiker, hatte aber auch eine Art Enquete über die Zukunft der Psychotherapie veröffentlicht. Er kam in einer Zeit hierher, in der die Universitäten expandierten, und hat eine ungeheuer groe Abteilung im konservativen bayerischen Kultusministerium herausgehandelt ...
In dieser Zeit hat er mit einer Mannschaft von sieben bis neun Leuten die Abteilung aufgebaut. Und er kam mit der Botschaft "Ich bring euch die Psychoanalyse, aber ich bring euch auch die Verhaltenstherapie". Er hat sein Haus damals als "seltsames Kloster" bezeichnet, wo zwei, sich eher feindliche Brüder unter einem Dach waren. Die VT-Ecke war mit Jarg Bergold, Wolfgang Tunner und Karl Herbert Mandel besetzt, der dann später Familientherapie gemacht hat; anderseits gab es eine starke psychoanalytische Fraktion.
Von meiner inneren Haltung her war ich damals ganz eindeutig auf der psychoanalytischen Seite und habe die VT mit großen Vorbehalten erlebt. Die kam damals auch mit so einem ideologischen Flair daher, was sie alles Tolles kann. Ich war in meinem Studium, bevor ich nach München kam, immerhin schon durch die Frankfurter Schule gewandert, und dieser Machbarkeitswahn kam mir einfach verdächtig vor: Dieses Denken, jedes denkbare Problem, das Menschen haben können, können wir locker beeinflussen. Wenig später hat ein Kommilitone von mir, der etwas früher mit dem Studium fertig war, im Spiegel ein Interview gegeben, in dem er diese Großmannssucht, diesen Größenwahn klassisch formuliert hat, "Wir können alles Verhalten in die gewünschte Richtung bringen, und es ist letztlich nur eine Frage der Ethik, ob wir es wollen oder nicht wollen". Und das war ein Habitus, dem ich misstraut habe ...
Dann kam der große europäische VT-Kongress in München. Das war, glaube ich, 1971. Da kam Eysenck, und da waren die VTler der Tradition sehr dominant, die ich auch wirklich immer abgelehnt habe.
Kamen die vor allem aus dem angloamerikanischen Raum?
H. Keupp: Ja, genau. Da kam auch Kanfer, den ich nicht so ablehnenswert fand wie Eysenck. Und es war der Rachman da, das weiß ich gar nicht mehr alles im Detail. Aber da war schon klar, da waren dann Personen wie Peter Gottwald und Jarg Bergold schon wichtig - außer Brengelmann, der diesen Kongress gemanagt hat.
Wir haben damals aus einem Seminar heraus eine Kongressarbeitsgruppe geplant, mit der wir sozusagen die gesellschaftliche Rolle und Gefahren von Verhaltenstherapie in diesen Kongress hineingepflanzt haben. Das werde ich nie vergessen. Das war natürlich vom Veranstalter eigentlich nicht gewollt, aber dadurch, dass jemand wie Jarg mitgemacht hat, war es sicher leichter, das in den Kongress hineinzutragen ...
Das fand im größten Hörsaal in der Münchner Uni statt, wo ganz viele Leute hinkamen. Die hatten uns erst einen kleinen Hörsaal angeboten, der hinten und vorne zu klein war. Das heißt, das war schon ein Thema, das mehr Leute als nur uns beschäftigt hat. Und dann gab es einen Kladderadatsch im GVT-Vorstand, den wir aber nur von der Ferne mitgekriegt haben. Ich glaube, den Kongress-Bericht haben Tunner und Brengelmann herausgebracht, meiner Erinnerung nach 1973. Und es war wohl lange sehr umstritten, ob unser Papier dort mit hineinkommt ... Sie haben sich dann eben entschieden, es hinein zu tun, weil es ja nun tatsächlich etwas mit dem Kongress zu tun hatte.
Wieso war das schwer? Weißt du noch, worum es da ging?
H. Keupp: Wenn du dir das Papier anschaust, das war wirklich vom Geist der Zeit geprägt: emanzipatorische Forderungen, sehr viel Ideologiekritik. Und das hat, glaube ich, den Leuten, die damals wirklich sehr eng an der Verhaltenstherapie dran und auch sehr positiv überzeugt waren, nicht so besonders gefallen. Brengelmann, damals ja noch Vorstand, erster Vorsitzender, war sehr stark durch Eysenck und den Behaviorismus geprägt. Er war Positivist und hatte mit diesen ganzen vom Marxismus angeregten Ideen nichts am Hut. Das war für ihn Ideologie und hatte mit Wissenschaft nichts zu tun.
Und wir wollten genau zeigen, dass es eben keine unpolitische Wissenschaft gibt, und dass man nicht so tun kann, als ob man in einem herrschaftsfreien Raum sein Geschäft macht. So wie das damals überall passierte, dass man die Dinge hinterfragt hat, gesellschaftlich einordnen wollte, natürlich aus einem kritischen, gesellschaftskritischen Impetus heraus ...
Du hast vorhin von den Machbarkeitsvorstellungen erzählt. Kannst du dich erinnern, woran die Machbarkeitsvorstellungen wahrnehmbar waren, wie sich die geäußert haben?
H. Keupp: In einer positiven und einer negativen Weise. In der negativen Weise vor allem bei Eysenck, der der ganzen damaligen Psychotherapie Ineffektivität, Placeboeffekte nachzuweisen versucht hat. Und das ist von vielen damals übernommen worden. Das war eine Keule vor allem gegen Psychoanalyse und gegen ... Die Humanistische gab es ja noch nicht so, erst in Anläufen. Rogers gab es schon, aber das war noch keine eigene Szene, die man damals hätte ausmachen können. Das war das negative, das hat mich geärgert. Ich fand die Methodenkritik von Eysenck auch unseriös, wir haben uns sehr bemüht, diese Kritik auch genau zu lesen und auch wissenschaftstheoretisch auszuhebeln, weil das eine sehr aggressive, eigentlich der anderen Richtung ihr Existenzrecht bestreitende Kritik war, aber im Namen von harter Wissenschaft. Das war das eine.
Das zweite war aber, ich kann mich gut erinnern, es lagen ja noch kaum größere Erfolgsuntersuchungen vor, es wurde aber schon immer betont, zum einen, dass man eben mit einer wissenschaftlich fundierten Theorie arbeitet, und dass dann eben auch die Möglichkeiten von Therapie dort wissenschaftlich kontrolliert würden. Das war aber sozusagen noch Programmmusik, das war ein Versprechen, die Daten lagen ja noch nicht auf dem Tisch. Und das zweite war so ein Habitus, "Wir können alle Störungen behandeln, wir haben effektive Lösungen dafür".
Das war auf folgendem Hintergrund: an vielen Punkten bis hin zur Schizophrenie haben die eben gezeigt ... - da gab es einen sehr eindrucksvollen Aufsatz von Krasner und Ullmann, das weiß ich nicht mehr ganz genau, die eben gezeigt haben, dass zum Teil auch die Psychiatrie ... Das muss ich vielleicht noch dazu sagen, viel wichtiger war damals für uns die ganze Psychiatriekritik, die Kritik an psychiatrischen Kliniken und die Hospitalismusforschungen. Rosenhan hat seine Experimente gemacht, wo er Studenten in die Klinik geschickt hat, und die sind ganz locker auch eingeordnet worden. Das war etwas sehr Wichtiges, und genau darauf haben sich zum Beispiel auch Krasner und Ullmann in ihrem Lehrbuch, ich glaube, es hieß "Abnormal Psychology" und müsste so 1969 erschienen sein, bezogen.
Neben den inhaltlichen Berührungspunkten (medizinisches Modell und das Macht-Thema) gab es noch einen zweiten Pfad: Nämlich die Psychoanalyse, für die immer noch mein Herz schlug, bei der hat mir das ganze Professionalisierungskonzept überhaupt nicht gepasst. An diesen Akademien hatte die Psychoanalyse einen autoritären Stil, die kritischen, kulturtheoretischen Aspekte waren völlig weg. Studenten hatten da überhaupt keine Chance, irgendwie mitzureden.
Die GVT dagegen war sehr offen, es gab noch keine feste Struktur, und wir sind dann auch in diesen Verband eingestiegen. Es gab sogar dann studentische Vorstandsmitglieder.