Frau Prof. Dr. Gabriele Elke hat in Bochum Psychologie studiert und hat dort die Verhaltenstherapie kennen gelernt. Sie war mehrere Jahre im Vorstand der DGVT. Sie hat heute Professur am Institut für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Ruhr-Universität Bochum.

Weitere Informationen unter der Homepage.


Auszug aus dem Interview mit Prof. Dr. Gabriele Elke:

Was fanden Sie interessant an der Verhaltenstherapie? Was war das Attraktive für Sie?

G. Elke: Also was das Attraktive war, dass sie eben wissenschaftlicher orientiert war und ist als das andere Therapierichtungen waren oder sind.

Ich denke, das waren so zwei Dinge: von dem Therapieansatz her die naturwissenschaftliche Orientierung. Und das zweite war sicherlich die soziale Gruppe, die das vertreten hat. Es war eine Kombination zwischen Therapie, und - ich sag mal - psychosozialer Gesundheitsversorgung. Wobei die psychosoziale Gesundheitsversorgung oder gemeindenahe Versorgung, wie es damals hieß, im Vordergrund stand. Und das war eigentlich das Attraktive für mich.

Natürlich hatte die DGVT auch bestimmte, und hat immer noch bestimmte politische Ansprüche, die mir auch sehr, sehr entgegen kamen. Also so beides, es war ein Feld, was inhaltlich meinen Vorstellungen, meinen Standards und meinen Anforderungen entsprach ..., und zum anderen eben auch ein Feld, wo ich mich sozial und politisch engagieren konnte.

Wenn Sie so zurückgucken, was waren für Sie innerhalb des Verbandes wichtige Themen oder vielleicht auch wichtige Auseinandersetzungen? Für Sie persönlich erst mal und als Zweites dann auch für den Verband?

G. Elke: Boah, das kann ich gar nicht mehr sagen ... Ich kann mich noch erinnern, dass wir viele heftige Diskussionen geführt haben. Ich denke, in den 70ern, Ende der 70er Jahre, Anfang der 80er Jahre war die Diskussion über das, was sich jetzt als das Psychotherapeutengesetz durchgesetzt hat, dominierend: also Diskussion über die Art der Tätigkeit oder der gesetzlichen Absicherung der Tätigkeit.

Wobei ich von meinem Verständnis von Gesundheitsversorgung auch heute noch einen gemeindenahen Ansatz, einen psychosozialen Ansatz vertreten würde. Und das Gesetz, so wie es jetzt vorliegt, entsprach natürlich nicht den damaligen Vorstellungen. Da gab es viele Auseinandersetzungen, die sowohl für mich als auch für den Verband wichtig waren. Das war diese permanente Auseinandersetzungen zwischen einem Verband, der sich für eine psychosozial angemessene Versorgung einsetzte, egal was das jetzt mal heißen mag, und dem mehr berufsständigen Verband des BDP.

Die andere Sache war, das kann ich aber nicht mehr konkretisieren, so hautnah bestimmte politische Diskussionen mitzubekommen. Zum Beispiel, wenn ich mich recht erinnere, gab es eine Fülle von Modellversuchen, die eigentlich vom Ergebnis her sehr gut waren, die aber dann in der Schublade verschwanden. Also diese Diskrepanz zwischen dem, was wir eigentlich wissen, auch von den Konzepten her ... und was dann eben nicht umgesetzt wird. Aber das ist in organisationspsychologischen Kontext ganz genauso. Eigentlich kennt man die Lösungen oder man kennt bestimmte Konzepte, aber sie werden in der Praxis nicht umgesetzt.

Und diese Erfahrung, meine persönlichen Erfahrungen mit dem Zusammentreffen mit Politik, mit politischem Agieren, mit den ganzen Spielen, die dort gespielt werden, das fand ich schon ziemlich beeindruckend und auch ziemlich erschreckend. Was ich da in Ansätzen ... mitbekommen habe, im Grunde genommen die Frage der Macht sowohl was Politik anbelangt, was aber auch Verbandspolitik anbelangt, das hat mich schon beeindruckt. Und wie stark auch solche politischen Prozesse gesteuert werden von einzelnen Personen. Meine Illusion, Inhalte bestimmen den Prozess, die habe ich dabei schon aufgeben müssen ...

Lassen sich für die Zeit, in der Sie im Verband aktiv waren, Phasen oder bestimmte Höhepunkte, Wendepunkte benennen?

G. Elke: Was ich so über die Jahre beobachtet habe, ist ein Trend weg von der ehrenamtlichen Arbeit hin zu Professionalität. Also ich denke, dass da ein sehr guter Prozess zu beobachten ist, immer mehr Professionalität, was für die Außendarstellung, für den Verband selber sehr positiv sein mag. Für die Bindung, das Commitment der Leute im Verband, ihren Einsatz, ihr Engagement, wirkt sich das sicherlich eher negativ aus. Ich war in der Phase aktiv, wo die Ursprungsgruppe sehr, sehr engagiert war, sehr eingebunden war und, ich sag mal, mit dem ganzen Herz daran hing. Das hat natürlich auch viel von der Stimmung ausgemacht. Ich denke, dass wir alle sehr überzeugt waren von dem, was wir getan haben. Und das ist dann so ein Stück verloren gegangen...

Noch in der Zeit als Sie in den Gremien aktiv waren oder ...?

G. Elke: Auch da schon, sagen wir mal von Mitte der 70er bis Anfang der 90er, auch da war das schon beobachtbar. Wenn Sie aus der ersten oder aus der zweiten Phase kommen, dann ist das natürlich sehr enttäuschend, wenn Sie dann erleben, dass sich zum Beispiel manche Mitarbeiter in der Geschäftsstelle gar nicht mehr dem Verband so verbunden fühlen, mit den Zielsetzungen und den Inhalten des Verbandes. Das waren für mich persönlich sehr, sehr einschneidende Erfahrungen. Was ich aber sehe, es ist so, wie es ist. Ja? Das können wir hier in einem anderen Kontext auch beobachten. Es gibt eben unterschiedliche Einstellungen, es gibt unterschiedliche Bereitschaft sich zu engagieren, sich einzubringen ... Das, was wir früher in unserer Freizeit gemacht haben, wurde dann irgendwann bezahlt und so. Es ist alles verständlich, aber das ist nicht mehr meine Welt gewesen. Das ist so ein wichtiger Strang, den ich meine, so beobachtet zu haben.

Was jetzt inhaltliche Fragen anbelangt, Veränderungen der therapeutischen Inhalte und des therapeutischen Vorgehens, also die klassische Verhaltenstherapie, dann die Erweiterung mit den verschiedenen kognitive Formen und diese Entwicklungen: Das fand ich eigentlich immer sehr positiv, die Weiterentwicklungen und auch die Ergänzung. Und das habe ich sicherlich hautnah hier durch den Lehrstuhl von Schulte mitbekommen, und auch ein bisschen von Bern, also Klaus Grawe und Franz Caspar. Auch Günther Schiepek war eine Zeit lang mit in irgendwelchen Gremien, der mehr von der systemischen Therapie her kam. Also die inhaltliche Entwicklung kam mir sehr entgegen ...

Was würden Sie sagen, welche Bedeutung hat die DGVT für die Etablierung der Verhaltenstherapie in der Bundesrepublik gehabt?

G. Elke: So weit ich das überhaupt noch überblicke: Wenn ich die entsprechenden Lehrstühle angucke, denke ich schon, dass die DGVT einen wichtigen Einfluss gehabt hat.

Andererseits habe ich den Eindruck - das ist aber jetzt wirklich nur ein Eindruck, den ich empirisch nicht belegen kann -, dass Leute und ein Teil der Personen, die sich im Bereich der Verhaltenstherapie engagiert haben, in dem Moment, wenn es dann um die eigene Karriere ging, sich auch von der DGVT abgewandt haben ...

Es hat eine Abwendung der Uni von dem Verband der DGVT stattgefunden. Also hier muss man genauer gucken, inwieweit man von der wissenschaftlichen Weiterentwicklung spricht oder von der Weiterentwicklung als Therapie. Und ich denke, dass bei der Weiterentwicklung als Therapie - jetzt in der Praxis, in der Umsetzung - der DGVT eine ganz entscheidende Rolle zukommt. Genau kann ich das aber nicht sagen, weil ich nicht weiß, wie viele Leute jetzt wo ausgebildet werden.

Was denken Sie, wieso die Personen im wissenschaftlichen Bereich oder dem akademischen Bereich sich dann aus der DGVT heraus definiert haben?

G. Elke: Das hatte einen ganz einfachen Grund. Die DGVT hat einen bestimmten politischen Anspruch und dieser Anspruch ist nicht immer kompatibel ... Ich denke, der politische Anspruch hatte sicherlich an manchen Stellen auch einen Kompromiss erfordert, was die Therapie anbelangt oder was bestimmte andere Standards anbelangte. Das ist die eine Sache.

Die andere Sache ist, wenn ich mich politisch engagiere, kann ich nicht straight eine wissenschaftliche Karriere machen. Da ist es oft nicht, oder sagen wir mal so: man meint es wäre nicht gut, wenn deutlich wäre, wo man politisch angesiedelt ist. Die andere Sache ist ...

Also der Punkt sind weniger Zeitgründe, weil Wissenschaft und Politik ...

G. Elke: Eine Unabhängigkeit von Forschung und Lehre ist die eine Sache, die andere Sache sind die Marktmechanismen. Ich kann das für die VT nicht so genau sagen, aber ich kann das in einem anderen Bereich beobachten, dass sich ja Personen, die an der Uni arbeiten, oft mit ihren eigenen Institutionen selbstständig machen. Und dann gibt es natürlich auch eine Konkurrenz. Es ist nicht kompatibel, wenn ich mich gleichzeitig noch in einem Verband entsprechend engagiere, wenn ich an meinem Institut vielleicht eine ganz andere Ausrichtung habe.

Dass ich dann, wenn ich meine eigene Ausbildung hochziehe, sehr profitorientiert vorgehe, wie das einzelne Verbände auch gemacht haben, die sich auch die Verhaltenstherapie auf die Fahnen geschrieben haben. Was nicht sein muss, wie ja viele Beispiele belegen, was aber sein kann. Also insofern kann man jetzt nicht sagen, dass es an den Inhalten liegt, sondern eben auch an den Vermarktungsstrategien und -prinzipien.