Prof. Dr. Dr. Peter Gottwald studierte in Medizin in Kiel und promovierte dort 1962. Nachdem er 1965 zu einem Studienaufenthalt in Boston war, war er bis 1976 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München tätig. 1972 schloss er seine Promotion in Psychologie an der Universität Konstanz ab.

Seit 1977 war Herr Gottwald Inhaber des Lehrstuhls für Psychologie mit dem Schwerpunkt Psychotherapie an der Carl-von-Ossietzky Universität Oldenburg. Sein Interesse richtet sich insbesondere auf die Verwirklichung des von Jean Gebser so genannten Integralen Bewusstseins. Als Zenschüler steht er seit 1981 in der Tradition der Kamakura Schule der Drei Kostbarkeiten.

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Auszug aus dem Interview mit Prof. Dr. Dr. Peter Gottwald:

P. Gottwald: Ich habe die Verhaltenstherapie 1965 in den Vereinigten Staaten kennen gelernt, ich war damals Arzt, fertiger Arzt. Ich hatte meine Medizinalassistentenzeit gemacht und hatte vom Max-Planck-Institut, wo ich dann hinterher gearbeitet habe, ein Stipendium bekommen, um mich ein Jahr in Amerika aufzuhalten und zwar in Boston an der Harvard Universität.

Dort hatte ich die Möglichkeit, und das war auch der Auftrag, mich umzutun in den Bereichen der aktuellen psychiatrischen Forschung. Dort habe ich an einem gro�?en Hospital gearbeitet, am Massachusetts General Hospital, da gab es eine Forschungsabteilung. Dort bekam ich einen Platz und konnte mit einer ganzen Reihe von Leuten sprechen. Ich habe mir eine ganze Reihe von verschiedenen Forschungsansätzen angeschaut, von denen mich diese neuen Experimente zum operanten Konditionieren am meisten fasziniert haben.

Es gab eine eigene Abteilung, und es gab auch Leute, die Experimente machten, bei denen das operante Konditionieren mit den Neurowissenschaften verbunden war. Es wurden Split-Brain-Experimente gemacht: Die Tauben waren dressiert, bestimmte Scheibchen zu picken und dann konnte man Hirnfunktionsableitungen machen. Das gleiche wurde mit Katzen und mit Affen gemacht. Das hat mich alles sehr fasziniert, einfach unter dieser Idee: Es gibt tatsächlich so etwas wie eine Wissenschaft menschlichen Verhaltens; Vorhersage und Kontrolle sind ja bei Skinner die beiden zentralen Begriffe.

Ich habe dann auch angefangen, eigene Experimente zu machen. Ich habe die technische Seite gelernt, diese elektronische Zusammenstellung der Lernprogramme, die Technik des Versuchskäfigs und der kumulativen Aufzeichnungen, die damals sehr wichtig waren. Dann habe ich auch angefangen, Skinner zu lesen. Ich habe seine eigene Geschichte, wie er diese Entdeckung gemacht hat, gelesen und habe dann mit Ratten gearbeitet und habe bei denen eine bestimmte Untersuchung gemacht, nämlich die konditionierte Unterdrückung, das galt als ein Paradigma für Angst. Es gab eine also Variable Intervallverstärkung, dann gab es ein Signal und am Ende des Signals gab es einen elektrischen Schlag. Da konnte man sehen, wie das Verhalten unterdrückt wurde, sobald das Signal ankam, und erst wieder anfing, wenn der Schlag vorbei war.

Damit habe ich damals auch Drogenexperimente gemacht. Es gab einen neuen Neurotransmitter, Gammaaminobuttersäure, die konnte man dann injizieren und schauen, welchen Effekt das auf das Verhalten hat. Und die schien die Angst wirklich aufzuheben. Das war ganz interessant. Das andere war, dass ich drum herum natürlich viele andere Experimente gesehen habe, zum Beispiel operantes Verhalten bei Alkoholikern, das so genannte operante Trinken. Es gab eine Gruppe um Herrn Mendelson, und viele, ganze viele verschiedene andere Dinge.

Was mich noch fasziniert hat, das war diese utopische Seite bei Skinner. Er hat ja dieses Buch geschrieben, "Walden Two", das ist im Deutschen übersetzt worden mit "Futurum Zwei". Das ist nicht sehr glücklich, weil da die ganze Beziehung zu dem Begriff Walden verloren geht. Walden geht ja zurück auf Henry David Thoreau, der zwei Jahre in der Wildnis gelebt und dieses Buch geschrieben hat. Daran hat mich interessiert, dass es vielleicht wirklich so etwas wie eine Form experimentellen Lebens nach bestimmten Prinzipien, nach denen des operanten Konditionierens, geben könnte. Gleichzeitig entsteht daraus das Paradox, dass wirklich eine freie, experimentelle Gesellschaft entsteht und der Kontrolleur sozusagen im Hintergrund verschwindet. Ich wei�? nicht, ob Sie das mal gelesen haben, das Futurum Zwei?

Nein, nur Sekundärliteratur.

P. Gottwald: Es ist wirklich immer noch faszinierend. Und mit diesem ganzen Hintergrundwissen und mit dieser ersten Erfahrung mit dem Experimentieren bin ich dann nach München zurückgekommen. In München war damals das Max-Planck-Institut für Psychiatrie mit seiner Klinik neu eröffnet worden. Das war Anfang 1965, nein, warten Sie mal, das war Anfang 1966. Und da hatte ich ein paar Monate Zeit - die Klinik wurde erst im Juli eröffnet - und habe ein kleines Tierlabor aufbauen können. Da habe ich auch wieder Rattenversuche gemacht und habe diese tierpsychologische Seite eigentlich parallel eine Reihe von Jahren weiterverfolgt, neben dieser Anwendung von Verhaltenstherapie in der Psychiatrie. Es hörte dann schlie�?lich auch auf mit ... - ich weiß nicht, ob Sie von Rupert Hölzl schon gehört haben?

Nein, der ist mir unbekannt.

P. Gottwald: Er ist auch ein Psychologe, er hat einen Lehrstuhl in Mannheim. Er hat damals als Diplomarbeit ein Experiment gemacht, in dem zwei Ratten trainiert worden sind, eine komplizierte Kette von Verhaltensweisen durchzuführen. Die kamen in den Käfig, dann ging ein Signal an, dann mussten sie eine Kette ziehen, dann ging ein Licht, dann mussten sie irgendwas machen und so weiter. Fünf, sechs Chaining-Experimente. Das war eine ganz interessante Arbeit. übrigens hieß die eine Ratte Siggi und die andere hieß Kalli. Gleichzeitig war sozusagen die Spannung zur Psychoanalyse wieder da: Im Hintergrund standen Sigmund und Karl Gustav ...

P. Gottwald: Ich denke wir haben die Verhaltenstherapie-Bewegung damals ziemlich naiv verstanden als eine Befreiungsbewegung. Jarg hat das oft gesagt: sozusagen der Verhaltenstherapeut macht sich selber zum Verhaltensingenieur seiner selbst und vermittelt dem Patienten genau das. Du kannst zum Ingenieur deiner selbst werden und kannst dich dann befreien ... von deinen Phobien und deinen Zwängen und so weiter und so fort, dann bist du frei und kannst den nächsten Schritt selbst gehen. Also sozusagen als eine missverstandene Freiheitsbewegung ... Und die ganze Dialektik von Freiheit und Dynamik und Gebundenheit durch das Unbewusste, die kam dann nicht mehr in den Blick. Und man war auch, denke ich heute, unbewusst froh, dass man die nicht in den Blick nehmen musste.

Warum?

P. Gottwald: Na, weil man natürlich auf diese Art und Weise befreit war davon. Man konnte sich in der Illusion der Freiheit wiegen ...

Und so denke ich, ... vielleicht war die Verhaltenstherapie tatsächlich eine Reaktionsbildung gegen die Psychoanalyse. Viele von uns hatten Berührungen mit der Psychoanalyse, viele hatten vorher Psychoanalyse gelesen ehe sie Verhaltenstherapie gemacht haben. Vielleicht könnte man ... finden, dass Reaktionsbildungen eine große Rolle spielen, dass die ganze Verhaltenstherapiebewegung eine Abwehrbewegung gegen die Psychoanalyse war. So wie ... Russel Jacoby im Grunde gezeigt hat, wie viel Neopsychoanalyse im Grunde eine Reaktionsbildung gegen die orthodoxe Psychoanalyse gewesen ist, in "Soziale Amnesie", so heißt das Buch, ein Taschenbuch.

Das finde ich eine spannende These - wogegen könnte die Verhaltenstherapie eine Reaktionsbildung gewesen sein, was denken Sie da?

P. Gottwald: Gegen die Kränkung, dass man nicht Verhaltensingenieur seiner selber ist. Freud sagt, ... "das Ich ist nicht Herr im Haus", dann folgt daraus, dass auch niemand sozusagen der Ingenieur seiner selber sein kann. Denn dieser Ingenieur tanzt seines Teils wieder an Fäden, die von unbewussten Kräften gesteuert werden. Und diese Kränkung kann verdrängt werden, wenn man eben solche Reaktionsbildung konsequent durchführt.