Prof. Dr. Dirk Zimmer ist Leiter der TAVT (Private Tübinger Akademie für Verhaltenstherapie GmbH).

Im Rahmen seines Psychologiestudiums in München hat er während der "nach-68er Jahre" als Praktikant im MPI Psychiatrie, bei dem Ehepaar Ullrich de Muynck und an der Eheberatungsstelle von K.H. Mandel mitgearbeitet. Er verbrachte ein Auslandsjahr in den USA und absolvierte ein postgraduales Studium bei F.H. Kanfer, A.A. Lazarus, C. Franks und G.T. Wilson.

In Münster promovierte er über Selbstsicherheitstrainings und war Hochschulassistent in Münster und Tübingen. Dort habilitierte er sich 1984 (zum Thema Paartherapie) bei Nils Birbaumer. Bis 1989 hatte er eine C2-Professur in Freiburg inne. Er engagierte sich in der GVT (Vorläufer der dgvt Anfang der 70 er Jahre) und war 1976 Mitglied des Gründungsvorstandes der dgvt. Später arbeitete er auch im DVT (Deutscher Fachverband für Verhaltenstherapie) mit und war Sprecher der dort organisierten Ausbildungsinstitute. 1990 wurde der TAVT, ein uninahes Ausbildungsinstitut für Verhaltenstherapie, gegründet. Dieses ist seit 1992 von der KBV und seit 1999 staatlich anerkannt.

Auszug aus dem Interview mit Prof. Dr. Dirk Zimmer:

Mein erster Fragenkomplex lautet: In welchem Kontext haben Sie die Verhaltenstherapie kennen gelernt, wann war das, was fanden Sie an der Verhaltenstherapie interessant, was hat die VT vielleicht auch versprochen oder, was fanden Sie möglicherweise auch problematisch oder kritikwürdig?

D. Zimmer: Wie Bernd Röhrle gehörte ich praktisch zu dieser 68er Generation. Das heißt, ich habe in München studiert, habe `67 mit dem Studium begonnen und es `72 abgeschlossen. Es war die Zeit, als am Max-Planck-Institut für Psychiatrie Hans Brengelmann die ersten Versuche gemacht hat, Verhaltenstherapie in die Psychiatrie einzuführen. Er hat einige Schüler gehabt und gefördert, das war sicher einer seiner größten Verdienste: Einer war Niels Birbaumer, mein späterer Chef, er war Assistent am Psychologischen Institut und hatte dort Psychophysiologie und Verhaltenstherapie eingeführt. Ein anderer, den er gefördert hat, war Jarg Bergold, der dann nach Berlin gegangen war. Dann waren da noch Peter Gottwald und das Ehepaar Ullrich, die das Assertiveness-Training entwickelt haben.

In der Zeit habe ich am Max-Planck-Institut für Psychiatrie Praktikum gemacht und fand das faszinierend. Auf der anderen Seite habe ich gemerkt, was damals an der Universität gelehrt wurde, war zum Teil der blanke Behaviorismus: Das heißt, wir haben uns als Studenten damals mit den Dozenten auch heftig gestritten, ob es so etwas wie Gefühle und Gedanken gibt. Und die behavioristischen Antworten haben dazu geführt, zu sagen, "Nee, das kann es auch nicht sein."

Die Psychoanalyse hatte damals auch einige abschreckende Seiten: Die Ausbildung galt als sehr autoritär, sie galt als wenig flexibel und wenig offen für die Wissenschaft. So saß man dazwischen, einerseits gab es sehr viele politische Impulse - damals war ich Gründungsmitglied der Roten Zelle Psychologie in München (lachend), wir haben Karl Marx gelesen und überlegt, ob der bessere Antworten hat als die Psychoanalyse. Und die Verhaltenstherapie war sehr behavioristisch.

Und auf der anderen Seite gab es eben wirklich Impulse mit psychiatrischen Patienten, mit schwerstgestörten Patienten zu arbeiten, die sonst aufgegeben worden waren. Da gab es durchaus auch soziales Engagement. Das hat beeindruckt ...

Dann stellte sich für mich aber die Frage, was ich denn nun selbst mache. Da habe ich in Marburg einen Menschen kennen gelernt, den Hans Brengelmann nach Deutschland geholt hat: Das war Fred Kanfer, der fing zirka Anfang der 70er Jahre an, die ersten Blockkurse und Lehrtherapien zu machen. Da saß ich hinter der Einwegscheibe, habe bei der Therapie zugeschaut und nach der Therapie haben wir gesprochen. Und Kanfer sagte, diagnostisch: "Was diese Patientin nicht kann, sie liebt sich nicht selbst". Und dann dachte ich "Aha, das ist auch Verhaltenstherapie." (Beide lachen). Das war also ein ganz weites Spektrum.

Ich merkte, dass das Alles in Deutschland damals nur sehr selektiv aufgenommen wurde und bin dann 1973 für ein Jahr in die Vereinigten Staaten gegangen. Ich habe mir ein Stipendium organisiert und war ein halbes Jahr bei Fred Kanfer, der mich sehr beeinflusst und geprägt hat. Bei ihm habe ich viel gelernt, er war ein sehr gescheiter Menschen, der sehr viel von klinischen Versorgungseinrichtungen versteht und gleichzeitig viel Forschung gemacht hat. Der andere war Arnold Lazarus, das ist so der kreative Kopf gewesen, immer unkonventionell, immer neue Ideen, eklektisch und offen ...

Also ich war etwa vier Jahre dabei. Wir waren in dem Vorstand eine verschworene Gemeinschaft, also vor allem Steffen Fliegel, ..., Bernd Röhrle, der sich vor allem mit dieser gemeindepsychologischen Seite extrem identifiziert hat und - gemeinsam mit Heiner Keupp und anderen - so etwas wie eine sozialpolitische Dimensionen im Verband gehalten hat.

Ich hatte mich vor allem für diese Ausbildungsfragen interessiert, und bei mir rutschten dann so nach und nach auch die Zweifel rein, was man mit Psychotherapie alles machen kann und welchen Platz das Ganze hat.

Das war einfach so dieser Spagat zwischen politisch-revolutionärem Denken, dass man die Gesellschaft verändern wollte ... Und das ging ja auf alle Ebenen: Das war der ganze Bereich des Feminismus, das war die ganze Pädagogik, wo man alles umkrempeln wollte, abenteuerliche Geschichten zum Teil, das waren Ausländer-Themen, und es war vor allem die Antipsychiatriebewegung. Das hei�?t, die DGVT hat damals extrem versucht, sich an die Deutsche Gesellschaft für soziale Psychiatrie anzuschlie�?en, eine ehrenwerte, sehr kleine Gruppierung mit Fraktionen, die eng mit der italienischen Antipsychiatrie verbunden waren. Es war der Wunsch, die Psychiatrie zu modernisieren. Die Psychiatrieenquete von `75 hat da eine immense Rolle gespielt.

Ich denke ähnlich wie bei den Grünen haben diese Anfangsimpulse die Gesellschaft natürlich intensiv geprägt. Und ich denke, dass sehr, sehr viel von diesen anfänglichen Ideen der DGVT einfach Wirklichkeit geworden sind. Also die Psychiatrie ist lange nicht mehr, wie Mitte der fünfziger Jahre, der Anteil von Psychotherapie hat immens zugenommen, die Liegezeiten haben abgenommen, es gibt komplementäre, ambulante Einrichtungen. Nicht dass man irgendwann zufrieden ist, es gibt immer etwas, wofür man regional auch kämpfen muss, aber trotzdem es waren schon andere Bedingungen. Auch die Frauenbewegung, die in den 70er Jahren angefangen hat sich zu artikulieren, hat eine Entwicklung gebracht, ja?

Die DGVT bot vom eigenen Anspruch her auch ein Forum, wo sich verschiedenste Gruppierungen artikulieren konnten. Wenn Sie die letzten 20 Jahrgänge durch die Zeitschriften blättern, finden Sie immer wieder so Nischen für Selbstdarstellungen verschiedenster, sich selbst als progressiv definierender Gruppen, mal aus der feministischen Ecke, mal aus der antipsychiatrischen Ecke, mal ... Durchgängig bestand dieses schlechte Gewissen, dass wir als Psychotherapeuten vielleicht nicht genug tun, die Gesellschaft umzukrempeln. Diese Spannung, ob Psychotherapie (im Einzelgespräch) auch eine gesellschaftliche Bedeutung hat, oder wieweit Einzeltherapie nur Flucht weg von den gesellschaftlichen Verantwortungen ist, beschäftigte uns.

Ein anderer Punkt war, dass es am Anfang eine schlechte psychotherapeutische Versorgung gab. Wenn man die Bedarfsanalysen jetzt betrachtet ..., klar, wir haben immer noch überall Wartezeiten, aber es gibt jetzt 9000 offiziell anerkannte Verhaltenstherapeuten, damals Anfang der 70er Jahre gab es sozusagen fünf, ja? Und die Versorgung hat sich auch sehr verändert. Damals war der Impuls: ausbauen, verbessern und jetzt geht es sehr in Richtung Verteilungskämpfe. Das ist schon eine andere Situation ...

Aber wie es so ist, wenn man etwas angefangen hat: Plötzlich gingen alle Studenten in diesen revolutionären DGVT-Verband, und plötzlich hatten wir 7000 Mitglieder, und alles war sozusagen in Abgrenzung zur Psychoanalyse, "Wir wollen keine Supervisoren haben". Ich bin einmal fast aus dem Vorstand rausgeflogen, weil ich damals in den 70er Jahren gewagt habe, den Vorschlag zu machen, eine Liste erfahrener Verhaltenstherapeuten aufzustellen, nicht mal mit Supervisortitel, das habe ich mich nicht getraut, sondern einfach nur eine Liste von erfahrenen Therapeuten, die von Anfängern aktiv angefragt werden dürfen. Und da wurde mir schon vorgeworfen, dass ich die Wende ins bürgerliche Lager vollzogen habe, weil die Psychoanalyse mit ihren Lehranalysen so fest verkrustete Strukturen zu haben schien ... Also das kennzeichnete diese Zeit: "Wir machen alles selber, wir brauchen keine Dozenten, wir brauchen keine Supervisoren" ...

Das ist nicht mehr die DGVT heute, aber sie hat diese Bewegungen zu dem Punkt, an dem sie heute steht, - in meinen Augen - nur unter sehr viel Zähneknirschen gemacht.