Die Oral History stellt innerhalb der Geschichtswissenschaften einen relativ neuen Quellentyp dar. In ihrem Selbstverständnis ist sie nicht nur als Methode, sondern im weiteren Sinne als Forschungsansatz zu betrachten (Niethammer, 1980). Oral History basiert auf mündlichen Zeugnissen, Erzählungen oder Interviews mit ZeitzeugInnen.
Mit der Methode der Oral History eröffnet sich die Möglichkeit, Datenquellen selbst zu schaffen, gezielt nach erlebter Geschichte zu fragen und Informationen subjektiver Art, aber auch Fakteninformationen zu gewinnen, die in objektiven Quellen nicht enthalten sind (Lück, 1996). In der Fachliteratur werden neben Problemen konzeptueller Art vor allem methodische Fragen der Oral History kritisch diskutiert (Geppert, 1999; Niethammer, 1980; Plato, 2000). Wesentliche Probleme entstünden durch die Subjektivität der Quellen, Verzerrungen des Gedächtnisses und der Erinnerung.
In der spezifischen Art der Erstellung der Quelle besteht ein wesentlicher Unterschied zu anderen Quellentypen: Ausgehend von einem Forschungsinteresse initiiert die Forscherin ein Interview, im Rahmen dessen ein Zeitzeuge oder eine Zeitzeugin und die Forscherin gemeinsam gezielt Erinnerungen und eine Geschichtserzählung in einem kommunikativen Prozess herstellen.
Das heißt, Oral History-Interviews "sind" weder die ehemals gewesene Wirklichkeit, noch "bilden" sie diese ab. Die Erzählung ist abhängig von der konkreten Gesprächssituation und der Interaktion, den Fragen der Forscherin, davon, was im Gedächtnis aktiviert wird oder werden kann, und davon, was ein Interviewpartner erzählen oder auch verschweigen will.
Für diesen Quellentyp spielen jedoch nicht nur aktuelle Interessen und die individuelle Erinnerung eine Rolle, sondern auch kollektive Erinnerungskulturen, welche die individuelle Erinnerung wiederum mitformen (Welzer, Moller & Tschuggnall, 2002). In der Interviewsituation kann auch das Wissen um eine erweiterte Zuhörer- und LeserInnenschaft durch eine spätere Veröffentlichung des Materials Einfluss auf aktualisierte Interessen der am Interview Beteiligten haben (Starr, 1980).
Die hier entstandene Form von Geschichtsschreibung ist somit nicht zuletzt das Ergebnis eines Kommunikationsprozesses.