Herr Michael Schalkhaußer ist Diplompsychologe und approbierter Psychologischer Psychotherapeut. Er hat Ende der 60er / Anfang der 70er Jahre in München Psychologie studiert.

In den Gründungsjahren der GVT war er studentisches Mitglied im Vorstand, später Mitglied in der ersten Ausbildungskommission (ASK) und im Redaktionskollektiv der "Mitteilungen der GVT".

Seit 1975 ist er psychologisch-therapeutischer Leiter der Heilpädagogischen Tagesstätte Milbertshofen im Münchner Norden. Er ist Mitbegründer des "Vereins für heilpädagogische Aufgaben e.V.", der für über 140 Kinder und ihre Bezugspersonen in vier Münchner Einrichtungen teilstationäre heilpädagogisch-therapeutische Hilfen integrativ anbietet.

 

Auszug aus dem Interview mit Michael Schalkhaußer:

Wie sind Sie zur Verhaltenstherapie und zur GVT gekommen? In welchem Zusammenhang sind Sie darauf gestoßen? Was war für Sie an der Verhaltenstherapie interessant, was hat sie versprochen und was fanden Sie andererseits problematisch daran?

M. Schalkhaußer: Ich bin Mitglied in einer Münchner studentischen Gruppe gewesen, die sich nach dem Vordiplom der Klinisch-psychologischen Abteilung zugewandt hat. So war das damals in München aufgeteilt. Das Grundstudium bis zum Vordiplom, und dann gab es die klinische Abteilung und diese andere Abteilung, die kurioserweise Angewandte Psychologie hieß. Das war Wirtschaftspsychologie, hieß aber Angewandte. Ich bin in die Klinische Abteilung gegangen, und der Vorstand der Klinischen Abteilung war Albert Görres, Professor Albert Görres, der auch Psychoanalytiker war. Den habe ich damals im Studium näher kennen gelernt.

Es war nicht ganz klar, was sein Motiv als Psychoanalytiker gewesen war, aber er hatte sich Jarg Bergold und Wolfgang Tunner geholt. Tunner hatte in den USA eine Verhaltenstherapie-Ausbildung gemacht, das war für uns ganz faszinierend. Als ich in die Klinische Abteilung kam, war Bergold schon länger da. Heiner Keupp war damals auch noch dort, er hat da sein Diplom gemacht und wurde dann Assistent an der Uni. Aber daher kenne ich ihn auch noch aus den Zeiten.

Auf jeden Fall gab es auch schon die GVT, und Ende der 60er Jahre war auch die Zeit, in der die Hochschulrahmengesetzgebung ganz neu diskutiert wurde.

Einerseits wurden wir damals immer unzufriedener mit dieser Ausbildung an der Klinischen Abteilung. Es war sehr spannend, dass Professor Görres sich da eine verhaltenstherapeutische Assistentenschaft im einen Eck angeschafft hatte, das andere Eck war ja sowieso psychoanalytisch orientiert. Und in dieser Kontroverse war es eben so, dass die, die diese lerntheoretische Richtung vertreten haben, für uns viel einleuchtender argumentiert haben. Das erschien uns auch sehr viel praktischer. Plötzlich konnte man dieses tun, jenes tun, analysieren, Schemata machen, überlegen, welche Pläne man anwenden wollte. Während die anderen ihre Tätigkeit immer zum Kunstwerk erklärt haben. Das war für uns sehr dubios, sagen wir es mal so. Es war ganz schnell so, dass die Mehrheit der Studenten, die auch hochschulpolitisch engagiert waren und in der Klinischen Abteilung studierten, auf diese lerntheoretische Seite tendierte.

Dazu kam der Norbert Bischoff vom Max-Planck-Institut Seewiesen, der hier in München mit einem Lehrauftrag an der Uni Kybernetik und diese kybernetischen Modelle lehrte. Da sind wir alle dringesessen und haben darüber gerätselt und nachgedacht, was das jetzt eigentlich für die Psychologie bedeutet.

Gut, das war die eine Seite. Die andere Seite war die Beschäftigung mit der Hochschulpolitik als Teil der gesamten Politik: Was werden da für Ziele vertreten? Welche Inhalte werden vertreten, in welche Formen soll es gegossen werden? Dabei ist uns aufgefallen, dass die Assistenten an der Universität nebenher immer solche seltsamen Dinge gemacht haben. Sie haben irgendwelche Kurse angeboten, die Geld gebracht haben. Während wir uns immer herum gestritten haben, warum diese Ausbildung an den Klinischen Instituten in unseren Augen so schlecht ist und warum man da nicht mehr praktisch machen kann, warum man sie dann nicht ausweiten kann und so weiter ...

Das war insgesamt der Grundmotor, zu sagen, diese Ausbildung gefällt uns so nicht. Wir waren mehr oder weniger fasziniert von dieser - wie soll ich sagen - eigentlich vulgär-materialistischen Herangehensweise der Lerntheoretiker an psychische Probleme. Es erschien uns so Vieles machbar und plötzlich erklärbar. Und wir haben gesagt, das muss frei zugänglich sein. Die sollen ihr Institut da zumachen, oder was das auch immer war, das war uns damals ja noch nicht bekannt. Damit sind wir mit der GVT ziemlich am Anfang konfrontiert worden ...

Auf einer Mitgliederversammlung in München, auf der diese studentischen Mitglieder kooptiert worden sind, haben Heiner Keupp und Jarg Bergold ein Seminar abgehalten, "Emanzipation und Verhaltenstherapie". Diese eher provokante Fragestellung hat uns Studenten sehr angelockt. Plötzlich mussten wir, die wir ja von den "strengen Kontingenz-Plänen", die zu ihrer Realisierung eher Labor-Bedingungen erheischen, durchaus viel hielten, fragen: "Was hat die Realität der Verhaltenstherapie mit Emanzipation zu tun?" Das wurde ein sehr aufregendes und spannendes Seminar ...

Jetzt fällt mir noch etwas ein, nämlich die damalige heftige Auseinandersetzung über die standesärztlichen Organisationen. Da gab es damals Paul Lüth zum Beispiel, um den zu nennen. Der war ein kritischer Arzt, der praktisch die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung angegriffen und diese ungebrochene Tradition durch den Faschismus hier genau dokumentiert hat. Er hat zum Beispiel dokumentiert, dass die Ärztekammer als nationalsozialistisches Organ verboten worden war und sich dann als Bundesärztekammer wieder etabliert hat und solche Geschichten. Das hat uns auch stark beeinflusst, später dann auch in den Fragen zum Psychologengesetz, zur Psychologenkammer ...

Wir haben dann zur Gründung dieser berufsständischen Organisation deutlich gesagt, "Nee, diese ganze berufsständische Diskussion, die müssen wir überhaupt erst mal anfangen. Damit wollen wir zunächst eigentlich erst mal gar nicht zu tun haben. Wir sind eine Gesellschaft zur Förderung der Verhaltenstherapie, wir hoffen, dass das ein therapeutischer Ansatz ist, der breit angewandt werden kann, dass der zugänglich ist für alle diejenigen, die es brauchen und für die, die eine Ausbildung machen wollen. Wir wollen nicht, dass die Ausbildung wieder in elitären Zirkeln verläuft und dass das Diplom eine berufsqualifizierende Ausbildung sein soll und nicht ein Berufseinstiegsprüfung, wo man hinterher dann erst die Berufsausbildung macht." Ja? Das waren die Linien, die wir so diskutiert haben ...

Warum gerade die GVT? In München war das sicherlich auch eine lokale Spezialität, da hier der Verein gegründet worden ist. Aber wieso nicht der BDP? Wie war das damals?

M. Schalkhaußer: Wenn man die chilenische Geschichte studiert [Herr Schalkhaußer hatte vorher über den von ihm übersetzten Artikel eines chilenischen Psychologen berichtet, der sich in der Reformbewegung um Allende engagiert hatte, dann verfolgt worden war und aus Chile fliehen musste], stellt man fest, dass die berufsständischen Organisationen in Chile bei dem Umsturz, der damals stattgefunden hat, eine ganz unrühmliche Rolle gespielt haben. Ich habe dazu für ein Sonderheft der GVT-Mitteilungen diesen Artikel übersetzt. Nun ist Chile nicht mit der Bundesrepublik zu vergleichen gewesen, das ist ein sehr armes Entwicklungsland der Dritten Welt. Aber in Chile ist noch viel deutlicher als in der Bundesrepublik zu Tage getreten, dass gerade auch die berufsständischen Organisationen um ihre Pfründe gekämpft haben. Sie hätten alle was aufgeben müssen, wenn die Reformen, die Salvador Allende im Kopf gehabt hat, Wirklichkeit geworden wären. Dann hätten sie alle etwas verloren, und da haben sie sich alle dagegen gestemmt. Auch die berufsständischen Organisationen gehörten zur Allianz gegen Allende. Das war das eine. Solche Gefahren sahen wir bei berufsständischen Organisationen ganz allgemein.

Das andere war die Rezeption der berufsständischen Organisationen ärztlicher Provenienz in der BRD. Wir haben uns gesagt: "Nein, das kann irgendwie nicht stimmen. Sich berufsständisch zu organisieren, das kann irgendwie nicht stimmen. Das ist immer Privilegienpolitik für einen bestimmten Kreis und es wird nie geguckt, was eigentlich gesamtgesellschaftlich notwendig ist." Und dann kam dazu natürlich die Frage, welchen Stellenwert finden dann einzelne Professionen darin. Dies wurde für uns zur Frage: berufsständisch oder gewerkschaftlich organisieren?