Auszug aus dem Interview mit Gerhard Brückner:

Welche Bedeutung hat die DGVT für die Etablierung und Entwicklung der Verhaltenstherapie in der Bundesrepublik gespielt?

G. Brückner: Na, eine wesentliche ... Ich denke, dass es der DGVT gelungen ist, die unter Psychologen doch erkennbar sehr segregativen Kräfte und Neigungen, sich in kleinste Gruppierungen zu zersplittern und dort Partialinteressen zu vertreten, also diese Zersplitterung unter der Ãœberschrift der Verhaltenstherapie - muss man natürlich dazu sagen - aufzuhalten. Das ist auch noch anderen Verbänden gelungen: Das ist den Gesprächspsychotherapeuten gelungen, die etwa vergleichbare Größenordnungen an Mitgliedern organisieren konnten; das ist sicherlich auch tiefenpsychologischen oder psychoanalytisch ausgerichteten Schulen gelungen. Aber es gibt auch kleine Schulen, psychotherapeutische Schulen, denen das eben nicht gelungen ist, sondern die sich in Sektengrößen bemessen lassen.

Und der DGVT ist das eben auch mit einer relativen Konstanz über die Zeitläufe hinweg gelungen. Also wenn man mal so die Grundpositionen der 70er Jahre mit den heutigen vergleicht - ich meine jetzt nicht nur die verbandlichen, sondern auch die gesellschaftlichen Grundpositionen - dann liegen dazwischen ja Welten: Wenn man die Form der Selbstorganisation, der Basisdemokratie, der politischen Orientierung der 70er Jahre vergleicht mit den Formen der fachlichen, professionellen Orientierung, der Orientierung an Fachkompetenzen auch statt basisdemokratischer Entscheidung heute - vor dem Hintergrund des Psychotherapeutengesetzes auch gedacht - , dann ist das schon eine Leistung für einen Verband, diese unterschiedlichen Grundpositionen zu überdauern. Das gelingt anderen nicht ohne weiteres.

Sie fragen ja nach der Bedeutung für die Verhaltenstherapie. Für die Verhaltenstherapie hat die DGVT einen Beitrag zur, wie soll man sagen, zur Konsolidierung, zur Bedeutsamkeit, zur Bedeutung in unterschiedlichen Arbeitszusammenhängen geleistet. Verhaltenstherapeutische Kompetenzen sind nach wie vor in solchen Arbeitszusammenhängen einsetzbar, auch ausweisbar und gewünscht, wie ich sie vorhin beschrieben habe, aus der Zeit der 70er Jahre noch: also in allen möglichen pädagogischen und auch anderen Arbeitsbereichen ...

Die Etablierung der Verhaltenstherapie oder des verhaltenstheoretischen Paradigmas, würde ich mal ganz allgemein sagen, diese Etablierung fast als eine kleine Allerweltsformel für die Beeinflussung von Menschen, Denken, Fühlen, Handeln hat die DGVT ein Stück weit mitgewährleistet. Dass es eben dieses breite Spektrum gibt, in dem Verhaltenstherapie möglich ist und sich legitimieren kann: das hat die DGVT über die Zeit sozusagen eben am eigenen Leibe demonstriert, und sie ist erhalten geblieben. Und es ist ja heute auch noch so, dass von diesen Strömungen aus den vergangenen Jahren und Jahrzehnten auch immer noch Elemente da sind ...

Es ist nicht so, dass zum Beispiel der Beratungsbereich nun völlig verschwunden ist. Auch wenn ich vorhin gesagt habe, dass sich die Gewichte verlagert haben, heißt das ja nicht, dass dieses Thema in der DGVT nicht mehr aufgehoben ist, im Gegenteil: Wenn Sie jetzt den Titel des nächsten Kongresses angucken: Das erste Mal taucht dort der Begriff Beratung auf, auch als Symbol dafür, dass die DGVT sich nicht ausschließlich als Interessensvertretung - auch heute noch nicht - von niedergelassenen, psychotherapeutischen Praktikern versteht, sondern auch andere Formen der Intervention in anderen sozialen Kontexten mit zu ihrer Thematik macht, bis hin zu dem Bereich Arbeits- und Organisationspsychologie.

Also wenn ich an meine jetzige Arbeit denke, dann sind das immer noch verhaltenstherapeutische Grundprinzipien, die mir an verschiedenen Stellen weiterhelfen, obwohl das mit Therapie nun gar nichts mehr zu tun hat, sondern eher mit Entwicklung von Organisationszusammenhängen in meinem Praxisfeld, also der Schule oder den Schulenbehörden ...

Die Tatsache, dass im Verlauf der Beratungen zum Psychotherapeutengesetz die Verhaltenstherapie und die tiefenpsychologische Ausrichtung bzw. die Psychoanalyse als die Verfahren der Wahl sozusagen als kassenabrechnungsfähig auserkoren wurden, ist meines Erachtens nicht aktiv durch Bestrebungen der DGVT hervorgerufen worden. So weit ich weiß, auch nicht durch die aktiven Bestrebungen anderer verhaltenstherapeutischer Verbände oder nur randständig. Ich denke, das war ein Ergebnis des Trends der Zeit, ein Ergebnis, das sich aus Forschungsergebnissen zur Wirksamkeitsforschung der Therapieformen ergab. Und im Nachhinein betrachtet, denke ich nun, hat die DGVT hier einen Glücksfall oder Zufall erlebt, der zumindest ihre materielle Existenznot beseitigte ...

Welche Rolle hat die DGVT für die Entwicklung und letztendlich auch die Verabschiedung des Psychotherapeutengesetzes gespielt, welche Bedeutung hat sie gehabt?

G. Brückner: Tja, das ist ein bisschen schwer zusagen ... Die politische Grundausrichtung, die damals der Vorstand, in dem ich angefangen habe mitzuarbeiten, vertrat, war nicht kompatibel mit dem, was jetzt im Psychotherapeutengesetz wiederzufinden ist. Es hat sich im Laufe der Zeit allerdings auch im Vorstand durch Veränderungen in der Vorstandzusammensetzung diese Position herauskristallisiert, die zunehmend kompatibler wurde mit dem, was man in dem Psychotherapeutengesetz dann auch fand. Also die Vorstellung von Kollegen und Kolleginnen ihre Arbeit in einer privaten psychotherapeutischen Praxis auszuüben, ist sozusagen im Verlaufe der Jahre auch im Vorstand hoffähig geworden.

Damit einherging die Abkehr von der Vorstellung über die Einflussnahme auf soziale Zusammenhänge, in denen Menschen leben, eben auch Einfluss auf sie selbst als Personen zu erreichen. Das wurde dann auch deutlich in der diskrepanten Entwicklung der Bedeutung des Beratungsbereiches auf der einen Seite und des psychotherapeutischen Bereiches auf der anderen Seite. Der sozialorientierte verhaltenstherapeutische Ansatz macht das ja überflüssig, diese Differenzierung überhaupt vorzunehmen, denn ob ich das, was ich da tue Beratung nenne, oder ob ich es therapeutische Intervention nenne, ist zweitrangig.

Ebenso wenig von Bedeutung ist die Unterscheidung, wenn es um die Finanzierung ging ... Das alles änderte sich ja dann mit der Entwicklung des Psychotherapeutengesetzes, weil eben die nichttherapeutischen Leistungen jetzt immer noch irgendwie finanziert werden müssen, sei es öffentlich oder wie auch immer, während die als therapeutisch definierten Leistungen sich jetzt als Kassenleistungen abrechnen lassen.

Und diese Entwicklung hin zu dem Psychotherapeutengesetz hatte eben Vorläufer im Vorstand auch durch Personen, die in den Vorstand wechselten, und die ihre Vorlieben für die Arbeit in der psychotherapeutischen Praxis immer deutlicher artikulierten. Wobei auch nachvollziehbar war, dass -  wenn man so arbeiten will -  man eigentlich auch eine Art von Gleichberechtigung haben möchte den Ärzten gegenüber und nicht unter ihrer Regie im Delegationsverfahren arbeiten möchte ... Das war ja entwürdigend. Also hat es dann im Vorstand zunehmend so eine Wendung gegeben, dass auch die private psychotherapeutische Praxis als Arbeitsfeld zunehmend ernster zu nehmen wäre.

Aber diese Positionsveränderung ging immer weiter und weiter, so dass irgendwann ein Umkipppunkt erreicht war. Das muss so, ja, so Mitte der 90er, in der zweiten Hälfte der 90er gewesen sein, wo dann so deutlich wurde, dass die Interessen sich doch bündelten in Richtung auf "Wir müssen jetzt zusehen, das Psychologen auch zur Kassenabrechnung zugelassen werden können und müssen uns einlassen auf pragmatische Verhandlungen, die auf dieses Ziel gerichtet sind."

Mit dem Ergebnis, dass die DGVT immer wieder vertreten war in entsprechend ausgerichteten Verbändetreffen oder eben auch in Anhörungen, die im Vorfeld des Psychotherapeutengesetzes noch im Rahmen der Beratungen dazu von den Ministerien durchgeführt wurden. Also da haben wir dann auch eine konstruktive Rolle gespielt.