Dr. August Rüggeberg beendete sein Studium als Diplompsychologe 1972. 1984 promovierte er in München am Lehrstuhl von Prof. Speck im Hauptfach Sonderpädagogik mit der Dissertation: "Autonom-Leben - Gemeindenahe Formen von Beratung, Hilfe und Pflege zum selbständigen Leben von und für Menschen mit Behinderungen". Zudem hat er Ausbildungen als Sonderpädagoge, Familienaufsteller (IAG), Hawaiian-Huna-Lehrer (HI) und Tierkommunikator.

August Rüggeberg - von Kindheit an stark sehbehindert und ab Anfang 20 dann nach und nach (bis heute) blind- besuchte auf Initiative seiner Eltern dennoch das "normale" Gymnasium und meint dazu: "vielleicht die beste pädagogische Entscheidung, die meine Eltern je für mich getroffen haben. Man lernt dabei, dass es doch immer einen Weg gibt, auch wenn ihn zunächst niemand sieht."

Er arbeitete lange Jahre im Bereich "Behindertenarbeit", u.a. war er Gründer der "Vereinigung Integrationsförderung e.V." in München (VIF), dem in dieser Form ersten deutschen ambulanten Beratungs- und Hilfsdienst zur Integration behinderter Menschen durch Hilfen im Wohnbereich, in der Schule, im Studium, am Arbeitsplatz und in der Freizeit. Später beschäftigte er sich aktiv mit der Verbesserung der Qualität von Blindenführhunden in Deutschland, insbesondere mit der wesensmäßigen Eignung, dem Verhalten und der sanften Ausbildungsmethodik für diese segensreichen vierbeinigen Mobilitätshelfer blinder Menschen.

Die Kinesiologie-Ausbildung ermöglichte schließlich den Schritt in die selbständige Praxis in München.

Auszug aus dem Interview mit Dr. August Rüggeberg:

Wie und wann haben Sie die Verhaltenstherapie kennen gelernt?

A. Rüggeberg: Ich habe 1967 bis '69 das Grundstudium in Bochum gemacht. Der Studiengang in Bochum war verglichen zu anderen Unis damals ziemlich systematisch und auch sehr positivistisch orientiert. Experimentalpsychologie und die Einführung in positivistische Wissenschaftstheorie waren sehr wichtig. Dann kam die ganze kritische Auseinandersetzung: Frankfurter Schule und linke Theorie, Holzkamp und so weiter. Das kam natürlich weniger vom Lehrköper als von den linken Studenten hinein und hat im ersten Studienabschnitt eine große Rolle gespielt.

Nach dem Vordiplom wechselte eine ganze Clique von fast 20 Leuten von Bochum nach München, die waren fast schon eine richtige Bande (lacht), das war ganz lustig. Und die kamen hier in einen Lehrbetrieb, der irgendwie noch verstaubt war. Es wurde noch ziemlich viel altes Zeug gelehrt, ich weiß nicht mehr genau, Lersch und dergleichen. Und es gab eine relativ starke Sektion, die sich mit Psychoanalyse beschäftigte, das waren aber von der politischen Seite her gesehen - so wie wir das wahrgenommen haben - eher sehr konservative Dozenten oder Professoren. Und es gab eben auch die Möglichkeit, Verhaltenstherapie zu machen. Als wir dann "Verhaltensmodifikation 1" besuchten, fanden wir das stinklangweilig, weil wir das alles schon gehabt hatten ...

In Bochum?

A. Rüggeberg: ... in Bochum. Dann haben wir erst einmal durchgesetzt, dass wir gleich bei "Verhaltensmodifikation 2" oder "3" anfangen durften. Und für viele der Kommilitonen war es enorm attraktiv, dass man bei den Verhaltenstherapeuten praktisch mittun konnte. Die machten hier an der Uni im Institut für Klinische Psychologie Therapie, und dazu gab es auch eine ziemlich ausgedehnte Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Psychiatrie. Da konnte man bei Assistenten an der Therapie mitwirken oder für diese die Therapie auch durchführen; man konnte Diplomarbeitsthemen kriegen, bei denen man bestimmte Therapiemethoden erprobt und untersucht hat. Es war ein ganz wesentliches Interesse daran, den Einstieg in die praktische Arbeit zu bekommen, und da gab es ein großes Bedürfnis, weil das ganze Psychologiestudium sonst purer Theoriekram war.

Die zweite Seite war folgende: Aus der kritischen Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Wissenschaft und der Wissenschaftstheorie schien es so, als ob die Verhaltenstherapie greifbarer, nüchterner, konkreter und überprüfbarer wäre. Es gab ein Seminar bei Heiner Keupp, das lief über mehrere Semester, ich glaube von '69 bis '72, und in diesem Seminar haben wir uns mit all diesen Themen kritisch auseinandergesetzt. Anfangs gab es eine Meinung, nach der die Verhaltenstherapie weniger autoritär und manipulativ als die Psychoanalyse ist, weil die Verhaltenstherapie konkreter durchschaubar ist oder zumindest gemacht werden kann. Während es in der Psychoanalyse durch Konzepte wie Widerstand so zirkulär wird, dass der Patient gegebenenfalls keine Chancen hat zu sagen, "Nein, es ist anders als der Therapeut meint". Dass das eine trügerische Hoffnung war, kristallisierte sich in den Diskussionen langsam heraus, weil bei der Verhaltenstherapie zwar manches etwas konkreter gemacht werden kann, das aber noch lange nicht immer gemacht wird, und weil sie mit ihrer technologischen Methodik eben ein Weltbild mittransportiert, das doch relativ auf Manipulation und Anpassung hinausläuft, das sag ich mal im Präsens. Diese die Einschätzung verbreiterte sich dann so nach und nach. Aber wie gesagt, es bestand ein ganz gro�?es Interesse, viel Kontakt zur Praxis zu bekommen ...

Und die GVT, wie sie damals noch hieß, war sehr im Max-Planck- Institut verwurzelt, weil der Professor Brengelmann zu der Zeit noch der Vorsitzende war. Dann hatten sie noch dieses GVT-Zentrum, das glaube ich, in der Parzivalstra�?e war. Aus unserer damaligen Sicht war das so, dass die mit dieser GVT eigentlich nichts anderes machten, als ihre wissenschaftlichen Privatinteressen zu befördern und die GVT für ihre persönlichen Zwecke nutzbar zu machen. Und das fanden wir undemokratisch ...

Und da kam die Idee auf, zu sagen, "Mensch, so ähnlich wie wir uns an der Uni gegen solche Professoren-Herrschaft und Machenschaften zur Wehr setzen, kann man das in der GVT auch tun. Und vielleicht kann man es hinkriegen, dass die GVT eine Form von Therapiegesellschaft wird, die eben anders funktioniert", als das bei diesen klassischen Therapieverbänden zum Beispiel in Psychoanalyse der Fall war und wohl auch noch ist. Dann haben wir versucht, konkret Ziele zu formulieren, und das funktionierte alles nicht. Die Studenten, die sehr viel praktisch in der Verhaltenstherapie arbeiteten, hatten auch keine Chancen, viel zu erreichen, weil sie kein Stimmrecht hatten. Das Stimmrecht war, wenn ich das recht erinnere, auf Leute beschränkt, die entweder ein Diplom in Psychologie oder einen Abschluss in Medizin hatten. Und im Zusammenhang der ganzen Mitbestimmungsdiskussion, die damals ja sehr wichtig war, haben wir gesagt, "Das muss geändert werden".